Es ist noch ziemlich früh, einige der Schülerinnen und Schüler sind ungeduldig, da sie noch drei Stunden Fahrt vor sich haben. Im Bus ist es laut, Musik läuft, nach einer Woche in Lignano geht es jetzt nach Hause.
„Ich wäre lieber noch eine Woche geblieben“, sagt Ismail. Er fand die Sportwoche in Italien super. Wenigstens ein paar Tage, wo keiner zu ihm sagte: „Räum dein Zimmer auf!“ Er kann diesen Spruch einfach nicht mehr hören.
„Und ich bin froh, dass wir wieder nach Hause kommen“, sagt Fabian, obwohl er Sport eigentlich mag, besonders Radfahren. Aber das Essen in Italien schmeckte ihm einfach nicht und er hatte Sehnsucht nach Kärntner Käsnudeln.
„Ich freue mich schon wieder auf die Schule“, erwidert Bianca. Das versteht nun wieder keiner. „Was bist du nur für eine Streberin?“, fragt Elias; und Sophie sagt: „Von mir aus hätten wir auch noch eine Woche bleiben können, wer hat denn schon Lust auf Schularbeiten und Tests?“
Indira sagt gar nichts, sitzt einfach nur da und weint, weil sie schon die ganze Woche solches Heimweh hat. Sie wäre lieber zu Hause geblieben, in ihrem Zimmer, weil sie sich da am wohlsten fühlt.
Da kommt Thomas, der Stärkste aus der Klasse. „Das ist mein Platz!“, sagt er zu Sandro, der sofort aufsteht, denn mit Thomas will sich keiner anlegen.
Selina und Luca sitzen zwei Reihen weiter vorne, sie reden und lachen. „Was machst du heute noch?“, fragt Luca. „Ich muss bestimmt noch den Rasen mähen“, antwortet Selina. Plötzlich beginnt Lucas’ Magen lautstark zu gurgeln. Er hätte doch zum Frühstück nicht so viel von der Knoblauchwurst essen sollen. „Oh, phhuu“, stöhnt Luca. „Das wird heute bestimmt eine lange Sitzung.“
Der Bus hat ein wenig Verspätung, weil Ludwig noch unbedingt schnell aufs WC musste, während die anderen schon eingestiegen waren. Deshalb fährt der Busfahrer jetzt schneller, als er es normalerweise tut. Er will pünktlich zu Hause ankommen.
„Ich habe Hunger! Hast du noch etwas zu essen?“, fragt Thomas seinen Freund Remi. Aber Remi schüttelt den Kopf. „Hast du wenigstens einen Kaugummi?“ Remi kramt in der Hosentasche, gibt Thomas einen Kaugummi. Er ist nicht sehr gesprächig und eher übel gelaunt. Remi ist am Boden zerstört, weil er seinem Schwarm seine Liebe gestanden hat und sie ihm vor der ganzen Klasse einen Korb und dann auch noch eine Ohrfeige gegeben hat. Das hat ihm den Spaß an der Sportwoche verdorben. Nicht einmal das Fußballspielen konnte ihn aufheitern.
Patrick und Jannik sitzen in der letzten Reihe. „Du traust dich nie, einen der Lehrer mit einem Tennisball abzuschießen, oder?“, sagt Jannik und setzt eine typische Grimasse auf, die er immer macht, wenn ihm etwas Dummes einfällt. Das will Patrick nicht auf sich sitzen lassen und wirft. Das hätte er besser nicht getan. Eigentlich wollte er Julia, die Mathe-Lehrerin, treffen, die ganz vorne sitzt und deren Haare immer wie ein Vogelnest aussehen. Patrick mag die Lehrerin nicht, weil sie die strengste Lehrerin an der Schule ist. Und weil sie Kinder ohne Grund beschuldigt und nur nett zum Direktor und den anderen Lehrern ist. Aber der Tennisball fliegt an ihr vorbei, prallt gegen die Fensterscheibe und landet dann mitten im Gesicht von Remi, der derzeit leider überhaupt keinen Spaß versteht und wegen des Tennisballs noch grantiger wird. Er springt auf, rennt nach hinten und gibt Patrick, ohne zu zögern, eine Ohrfeige.
Der Tennisball hat die Mathe-Lehrerin nur knapp verfehlt. Einen Moment überlegt sie, ob sie aufspringen und losschreien soll, lässt es dann aber bleiben. Ihre Kollegen scheinen den Vorfall gar nicht bemerkt zu haben. Alle wirken irgendwie erschöpft und müde. Kein Wunder, eine Woche mit diesen Schülern, das war hart. Auch im Bus ist es viel zu laut und alle schreien durcheinander. Julia will eigentlich gar keine Lehrerin sein. Wollte es noch nie. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie ein altes Heft aus ihrer eigenen Schulzeit gefunden. Sie mussten damals einen Aufsatz zum Thema Lehrer schreiben und Julia waren nur Sätze eingefallen, warum sie keine Lehrerin werden wollte:
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich die Kinder nicht quälen mag.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich nicht mit Kindern arbeiten möchte.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil Lehrer nicht viel verdienen und das ist nicht mein Traumberuf.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich dann wieder in die Schule muss.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich keine Geduld habe, anstrengende Kinder zu unterrichten.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil die Jugend von heute nicht zu bändigen ist.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich keinen Bock habe, zu unterrichten.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich etwas Besseres zu tun habe.
– Ich will keine Lehrerin werden, weil ich lieber etwas mit Tieren machen will.
Wenn Julia jetzt nachdenkt, stimmt vieles von dem, was sie damals schrieb, auch heute noch. Etwas mit Tieren zu machen – ja, das wäre es gewesen. Mit Pferden oder Hunden oder egal was. Sie hat eigentlich kein Lieblingstier, weil sie alle Tiere wichtig findet und glaubt, dass alle gebraucht werden.
Okay, Spinnen! Die sind eine Ausnahme. Die hasst sie. Nein, das ist vielleicht übertrieben. Aber zumindest mag sie sie nicht. Auf keinen Fall. Aber sonst? Bienen bestäuben die Pflanzen und die Bäume und die geben uns dafür Sauerstoff. Wenn es keine Bienen geben würde, würden wir bald sterben. So ist es mit allen Tieren. Und was für Tiere gilt, gilt für sie auch für Länder, deshalb hat sie auch kein Lieblingsland, weil alle Länder schöne Orte haben.
Als Kind wollte sie gern einen Vogel haben. Einen Adler am liebsten, weil der ein so majestätisches Erscheinungsbild hat. Aber ihr Vater sagte nur: „Du hast ja selbst einen Vogel!“ und hat dabei gelacht. Schließlich hat sie ein paar Meerschweinchen bekommen, damit war sie auch zufrieden, denn auch die waren irgendwie cool und lustig.
Keinem ist aufgefallen, dass einer der Schüler fehlt. Es ist Alex, der Außenseiter. Nicht einmal die Lehrer können ihn leiden, weil Alex’ älterer Bruder Matthias früher auch in diese Schule gegangen ist und den Lehrern immer böse Streiche gespielt hat. Und leider sieht Alex genauso aus wie sein Bruder. Ein älterer Lehrer, der an Demenz leidet, glaubt sogar, dass Alex in Wirklichkeit Matthias sei. Aber auch die meisten der jüngeren Lehrer mögen ihn nicht, weil sie Geschichten über seinen Bruder gehört haben. Und dann wird er auch noch gemobbt wegen seiner Klamotten und seines Aussehens.
Keinem ist also aufgefallen, dass Alex fehlt, bis auf John Quackless, der sein einziger Freund ist und immer zu ihm gehalten hat. Auch jetzt, deswegen sagt er nichts. Er weiß Bescheid. Alex hat ihm eine WhatsApp Nachricht geschickt: „Die Lehrer haben mich immer ungerecht behandelt, ich fahr nicht mit zurück, ich haue ab.“
Der Bus fährt jetzt eine schmale Straße entlang, die Schüler haben sich ein bisschen beruhigt. Plötzlich steht jemand mitten auf der Straße. Es geht alles so schnell, dass keiner wirklich etwas mitbekommt. Der Busfahrer macht eine Vollbremsung, man hört die Reifen quietschen, der Bus gerät ins Schleudern. Die Kinder geraten in Panik und schreien herum, werden im Bus hin und her geschleudert.
„Ich will noch nicht sterben!“, schreit Felix.
…
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