Hugo, die Geister und wir

Vanii

Vergangene Woche machte unsere Klasse eine Exkursion ins Schloss Porcia, ein berühmtes Renaissanceschloss in unserer Heimatstadt. Wir besichtigten diverse Säle und Keller und hörten alles Mögliche über die Entstehung des Bauwerks und die Familie der Schlossherrn. Das Meiste war total langweilig, das einzig Interessante war die Geschichte der Gräfin Salamanca, die in dem Schloss gelebt und angeblich irgendjemanden mit einem Pantoffel erschlagen hat. Raul, der erst vor wenigen Wochen aus Rumänien nach Österreich gekommen war und noch schlecht Deutsch konnte, verstand nicht viel von dem, was die Führerin erzählte. „Was bedeutet das, Sala… Salama… wie heißt das?“ „Salamanca!“ rief Sarah genervt, „du liebe Zeit! Das ist ein Name!“ „Der versteht es ja doch nicht!“ sagte Peti, die zwar selbst aus Tschetschenien stammte, aber schon vor vielen Jahren hierher gekommen war und perfekt Deutsch sprach. Aber Raul ließ nicht locker.

„Sag mir!“, bettelte er, sodass Sarah sich schließlich genervt umdrehte und ihm noch einmal erklärte, was es mit der Geschichte auf sich hatte: „Also“, begann sie, „vor wirklich langer Zeit, so um 1500 oder so, kam der Graf Gabriel Salmanca hierher auf die Ortenburg. Das ist die Burg, die du von der Schule aus sehen kannst, die Ruine auf der Schattseite, ein Stück das Goldeck hinauf. Aber dort war es ihm zu schattig und zu kalt, deshalb ließ er in der Stadt das Schloss Porcia bauen. Damals lebten viele Verwandte von den Salamancas im Schloss, und einer von ihnen hatte eine total böse und habgierige und sonst noch was Frau, eben diese Gräfin Salamanca. Sie hasste alle und liebte nur ihren Sohn und verwöhnte ihn voll und …“ „Geil“, unterbrach Patrick, „so eine Mutter hätte ich auch gern!“ „Still, lass Sarah sagen“, sagte Raul, und Sarah erzählte weiter: „Wo war ich? Ach ja, wie die Gräfin ihren Sohn verhätschelte. Alle anderen behandelte sie schlecht und ungerecht, und bei einem Riesenfest im Schloss, zu dem alle Ritter eingeladen waren und soffen und fraßen, trauten sich auch die armen Leute in den Burghof und baten die Gräfin um die Reste des Essens.

Aber die befahl den Leuten, sofort den Burghof zu verlassen, sonst würde sie die Jagdhunde ihres Sohns auf sie hetzen. Also machten alle, dass sie wegkamen, aber einer war nicht schnell genug – ich glaube, es war der Mesner –, er hatte keine Kraft mehr oder er hinkte oder irgendetwas in der Art. Die Hunde stürzten sich auf ihn und bissen ihn tot, und im Sterben hat er dann den Sohn der Gräfin verflucht, dass er eines Tages auf dieselbe Art und Weise zu Tode kommen werde.“ Vanessa wurde langweilig: „Erzähl schneller“, regte sie sich auf, „du brauchst wirklich nicht jedes kleine Fuzele zu erwähnen, wir kennen das doch alle außer Raul, und der versteht sowieso keine langen Geschichten!“ Sarah war gerade so im Erzählen, dass sie nur schwer von der langen Geschichte Abschied nahm, aber sie sah Vanessas Argumente ein, außerdem waren wir schon fast wieder in der Schule angekommen. Also übersprang sie einen Teil der Geschichte und erzählte nur mehr den Schluss: „Jedenfalls, eines Tages kommt Besuch mit Hunden, und Salamancas Sohn streichelt sie, und seine eigenen werden eifersüchtig und knurren und fallen die anderen an, und der Sohn will dazwischengehen und wird genauso zerfleischt wie der Mesner, und so ging der Fluch in Erfüllung. Bald darauf starb auch der Graf, weil er so traurig war, und die Gräfin zog sich zurück und wurde immer eigenartiger und grausamer und geiziger. Am Ende lebte sie ganz allein im Schloss, nur mit einer Zofe, und versteckte ihr Gold und den Schmuck und alles Wertvolle irgendwo im Schloss und holte einen Maurer, der das einmauern musste. Als er fertig war, erschlug sie ihn mit einem Pantoffel, damit er nichts verraten konnte. Was mit der Zofe war, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls soll die Gräfin Salamanca noch immer im Schloss herumspuken, mit schwarzem Umhang und so.“

Raul war ganz still und meinte: „Aha. Geistergeschichte. Sehr interessant!“

 

Elias

Vergangene Woche machte unsere Klasse eine Exkursion ins Schloss Porcia, ein berühmtes Renaissanceschloss in unserer Heimatstadt. Die Führung war voll lähmend, ich sehnte mich die ganze Zeit nur danach, mit Hugo, meinem Hausschwein spielen zu können. Hugo war zwar schon drei Jahre alt, also eigentlich erwachsen, aber er war immer noch genauso verspielt wie als Ferkel und jedenfalls unterhaltsamer als diese öden Namen und Jahreszahlen. Am unterhaltsamsten war noch die Geschichte der Gräfin Salamanca, die angeblich in dem Schloss herumspukt, weil sie ihr eingemauertes Geld bewacht. Die Führerin erzählte die Geschichte ganz ernst, als ob sie wirklich wahr wäre, aber meinen Freunden und mir war klar, dass es sich um ausgemachten Schwachsinn handelte. Und als auf dem Rückweg zur Schule Sarah Raul die ganze Geschichte noch einmal erzählte, wurde es uns zu blöd. „Wer glaubt schon an Geister!“, rief ich, „das ist doch etwas für Babys!“ „Für Babys und Mädchen!“, rief Patrick, und ich lachte: „Genau! Für Babys und Mädchen! Nicht einmal mein Hugo würde an Geister glauben!“

 

Vanii

Als wir schon fast am Schultor waren, begannen die Buben, sich über die Salamanca-Geschichte lustig zu machen und gaben damit an, dass sie nicht an Geister glaubten. Sarah blieb stehen und wartete, bis sie nähergekommen waren.

 

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