DER BUNKER, DER KRAMPUS UND ICH

Aller Anfang ist …

Gießhübl, eine Schule im Herzen des Mostviertels. Ein Vormittag, Anfang Dezember. Auf den Feldern ringsum lag eine dünne Schicht Schnee. Seit Tagen war es kalt und neblig. Aus dem Nebel fielen vereinzelt Schneeflocken, gespenstisch sah das aus.

Ich stand vor dem Internat, in meiner rechten Hand die Reisetasche, in der Linken der Instrumentenkoffer. Ich schaute in Richtung Eingang zur Schule, langsam bewegte ich mich darauf zu. Als ich fast dort angekommen war, wurde ich von jemandem angerempelt.

„Was soll denn das!“, fluchte ich. Aber schon war die mir unbekannte Person verschwunden. Da hörte ich lautes Lachen, aber niemand war zu sehen.

„Da geh ich nicht hinein“, dachte ich. Doch dann gab ich mir einen Ruck und betrat die Schule. Gleich hinter der Eingangstür ein Schaukasten, darin die Fotos aller Lehrerinnen und Lehrer, die hier unterrichteten. Vor mir ein Flatscreen, ich las: „Willkommen im Mostviertler Bildungshof.“ Der Bildschirm war mir schon beim ersten Mal aufgefallen, damals an jenem Schnuppertag in der Schule. Mir hatte es hier so gut gefallen, dass ich sofort meine Großmutter bekniete, sie möge mir helfen, meinen Vater zu überreden, dass ich vom Gym auf diese Schule wechseln durfte. Ich wusste, dass meine Großmutter mir helfen würde, sie besitzt einen großen Bauernhof. Ihr ältester Sohn hat ihn mittlerweile übernommen, sein jüngerer Bruder, mein Vater, hatte in Wien Wirtschaft studiert und war dann nach Deutschland gegangen. Er hatte dort nicht nur Karriere gemacht, sondern auch meine Mutter kennengelernt.

„Willkommen im Mostviertler Bildungshof“, las ich erneut. Und dann den Spruch des Tages: „Lasst uns dankbar sein gegenüber Menschen, die uns glücklich machen. Sie sind liebenswerte Gärtner, die unsere Seele zum Blühen bringen.“ Darunter der Name Marcel Proust, ich hatte noch nie von ihm gehört. „Sie sind liebenswerte Gärtner, was soll das“, dachte ich. Doch der erste Teil des Spruchs gefiel mir. „Dankbar gegenüber Menschen, die uns glücklich machen“. Sofort dachte ich an meine Oma.

Mit meinem Vater kam ich nicht so gut aus. Dabei hatte ich noch gedacht, mit dem Umzug nach Amstetten vor gut einem Jahr würde sich alles ändern. Mein Vater pendelte nach Wien und Linz, um dort seine Geschäfte zu erledigen. Dann aber bekam er das Angebot einer großen deutschen Futtermittelfirma, er wurde dort Betriebsleiter. Deshalb war es gar nicht so schwierig, ihn von meinem Schulwechselwunsch zu überzeugen.

Zuvor war ich im Gym in Amstetten. Keine gute Zeit. Vor allem hatte ich wegen meiner Aussprache Probleme mit den Mitschülern. Sie hatten mich ausgelacht und als Piefke beschimpft.

Dabei stammte ich ursprünglich aus Österreich, hatte aber meine Kindheit in Deutschland, dem Heimatland meiner Mutter verbracht. Die hatte ich nie wirklich kennengelernt, kannte nur ein paar Fotos von ihr. Als ich drei Jahre alt war, hatten sich meine Eltern scheiden lassen. Meine Mutter war nach Paris gezogen, wo sie für eine Werbeagentur arbeitete.

Nach der Scheidung war ich mehr oder weniger immer bei Verwandten aufgewachsen. Die Ferien hatte ich aber immer auf dem Gutshof meiner Oma verbracht. Schöne Erinnerungen!

Immer noch stand ich wie angewurzelt und starrte auf den Fernseher. Essensgeruch stieg mir in die Nase, und ja, es duftete ein wenig nach Lebkuchen. Klar doch, war ja bald Weihnachten! Ich liebte die Adventszeit und mein größter Wunsch war es, einmal zusammen mit meinen Eltern die Festtage zu verbringen. Wobei der Heilige Abend mit Oma war auch schön, das schon.

Auf dem Bildschirm vor mir nun der Speiseplan für den heutigen Tag. Es gab Rindsuppe mit Sternderl, gekochtes Rindfleisch mit Semmelkren und Erdäpfelschmarrn, danach eine Schokoschnitte. Und auch vegetarisch wurde hier aufgekocht: Cremespinat mit Erdäpfelschmarrn.

Links erblickte ich ein paar Bilder, auf denen sah ich Pflanzen, die in wenigen Worten beschrieben wurden. Rechts eine große Tafel, ein Wegweiser zu den verschiedenen Räumen in der Schule. „Ich muss also in den 1. Stock“, sagte ich leise vor mich hin.

Langsam die Treppe hinauf. Da kam mir eine Gruppe Schüler entgegen. „Geh aus dem Weg, wir haben Hunger“, johlten sie. „Meine Güte, das kann ja was werden hier“, dachte ich. Meine Reisetasche kam mir auf einmal noch schwerer vor. Schweiß stand mir auf der Stirn, ich seufzte und klopfte an die Tür des Direktors.

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